Bild: Comet Photo AG (Zürich)

Die Schweizer

Landwirtschaft

steckt in der Krise

Der Bauernhof, wie wir ihn kennen, funktioniert nicht mehr. Immer mehr Landwirt*innen geben ihren Betrieb auf, die Suizidrate bei Bäuer*innen ist hoch und Kritiker*innen sind der Meinung, es fliesse zu viel Geld in die Agrarpolitik. Wir fragen uns: Was sind die Gründe? Was passiert in Bundesbern? Und was gibt es für Alternativen zum klassischen Betrieb?

Sina Alpiger
Lia Budowski

Kapitel I

Das Schweigen der Bauern

Kapitel I

Das Schweigen der Bauern

«Wenn das jemand sieht, habe ich ein Problem.» So lautete jeweils die Absage von Milchbäuer*innen, die wir für ein Interview angefragt hatten. Aus längeren Vorgesprächen wissen wir aber, dass genug Sorgen vorhanden wären, über die man öffentlich sprechen müsste. Dazu gehören nicht nur die Gegner*innen aus den eigenen Reihen. Denn das Problem ist komplexer, als es scheint.

Kapitel II

Die Landwirtschaft
hat ein Problem

Kapitel II

Die Landwirtschaft
hat ein Problem

Viel Arbeit für wenig Geld, mächtige Grosshändler und ein tiefer Milchpreis. Sind das die Treiber des Bauernhofsterbens und der hohen Suizidrate in der Schweizer Landwirtschaft? Schaut man genauer hin, ist da noch mehr.

Auf sattgrünen Weiden grasen zufriedene Kühe. Kinder rennen um ein altes Bauernhaus herum, gackernde Hühner huschen dazwischen über den Platz. Der Vater bestellt das Feld und die Mutter fährt mit den frisch gebackenen Broten auf den Markt – so sieht das gängige Bild einer Bauernfamilie in diesem Land aus. Doch wie sieht der Alltag Schweizer Landwirt*innen im Jahr 2020 wirklich aus?

Nennen wir sie Hans Huber und Marta Meier. Er ist Milchbauer, sie Gemüsebäuerin. Laut dem kürzlich veröffentlichten Agrarbericht 2020 vom Bundesamt für Landwirtschaft sind Hans und Marta 51 Jahre alt.

Er arbeitet 55, sie 34 Stunden. Samstag und Sonntag sind Arbeitstage wie jeder andere. Zu Hans’ Arbeitszeit zählt nur die Milchwirtschaft. Wenn er nebenbei noch Ackerbau betreibt oder Brot für den Wochenmarkt backt, zählt das nicht dazu – bei Marta dasselbe.

Hans macht pro Jahr neun Tage Ferien – Marta sieben.

Marta erzielt als Landwirtin aus einer Talregion einen Jahreslohn von CHF 69'200.-, Hans als Bergbauer CHF 39'600.-.

Wie lange die beiden ihrem Beruf noch nachgehen, ist ungewiss. Denn über die letzten 20 Jahre gesehen, geben in der Schweiz pro Tag drei Bauernhöfe den Betrieb auf.

Auch die Suizidrate ist hoch. Laut einer Nationalfondsstudie der Universität Bern ist die Wahrscheinlichkeit, dass Hans den Freitod wählt, 37 Prozent grösser als bei anderen Männern, die auf dem Land leben.

Bilder: Adobe Stock & Pixabay/stux

Hans

&

Marta

55

34

Ferien pro Jahr

39’600.–

69’200.–

+37%

Stunden pro Woche

9 Tage

7 Tage

Einkommen

Über die letzten 20 Jahre gaben jeden
Tag drei Höfe den Betrieb auf.

Nennen wir sie Milchbauer Hans Huber und Gemüsebäuerin Marta Meier. Laut dem kürzlich veröffentlichten Agrarbericht 2020 vom Bundesamt für Statistik sind Hans und Marta 51 Jahre alt. Sie arbeiten 55, respektive 34 Stunden pro Woche. Zu Hans Arbeitszeit zählt nur die Milchwirtschaft. Betreibt er nebenbei noch Ackerbau oder backt Brot und verkauft dieses auf dem Markt, zählt das nicht dazu. Samstag und Sonntag sind Arbeitstage wie jeder andere. Hans macht pro Jahr neun Tage Ferien – Marta sieben. Marta erzielt als Landwirtin aus einer Talregion einen Jahreslohn von CHF 69'200.-, Hans als Bergbauer CHF 39'600.–. Wie lange die beiden ihrem Beruf noch nachgehen, ist ungewiss. Denn über die letzten 20 Jahre gesehen, geben in der Schweiz pro Tag drei Höfe den Betrieb auf. Auch die Suizidrate ist hoch. Laut einer Nationalfondsstudie der Universität Bern ist die Wahrscheinlichkeit, dass Hans den Freitod wählt, ist 37 Prozent höher als bei anderen Männern, die auf dem Land leben.

Über die letzten 20 Jahre gaben jeden
Tag drei Höfe den Betrieb auf.

Anzahl Landwirtschaftsbetriebe Schweiz

Grafik: Sina Alpiger, Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft

Die Händler sind am längeren Hebel

Warum geht es den Schweizer Bäuer*innen so schlecht? Fragt man Sandra Helfenstein vom «Schweizer Bauernverband», ist sie einen Moment still. «Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten.» Denn es ist mehr als ein kontinuierlich sinkender Milchpreis, der Marta und Hans zu schaffen macht. «Die Schweizer Landwirtschaft ist eine Tretmühle. Landwirt*innen erhalten immer weniger Geld und müssen immer mehr produzieren», sagt Helfenstein. Hinzu kommt, dass Bäuer*innen zum Beispiel Milch als Rohmaterial für veredelte Ware wie Joghurt oder Butter produzieren. Diese Veredelung findet beim Händler und nicht beim Produzenten in der Landwirtschaft statt. Ein Kilogramm Erdbeer-Joghurt zum Beispiel kostet im Laden fünf Mal mehr, als der Bauer für die dafür gelieferte Milch erhält. «Das führt zu einem Machtgefälle.» Denn will sich Hans gegen einen zu tiefen Milchpreis wehren, bezieht der Händler seine Milch einfach woanders.

Bauer verliert, Detailhandel profitiert:
Vom Joghurtpreis im Laden sieht der Bauer einen Fünftel.

Grafik: Sina Alpiger, Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft

Schweizer*innen wollen wenig Bio

Zusätzlich wird die Milch in der Produktion immer teurer. Gemäss Andreas Widmer vom «St. Galler Bauernverband» müssen immer mehr Umwelt- und Tierschutzauflagen eingehalten werden. «Der Druck auf die Landwirt*innen steigt dadurch enorm.» Diese Vorgaben würden zwar auch im Interesse von Marta und Hans liegen. Die Misere liegt laut Helfenstein in der Kostenverteilung. «Die höheren Produktionskosten will niemand tragen, also tun das automatisch die Bäuer*innen.» Es verwundert daher nicht, wenn sich diese gegen verschärfte Standards wehren. Initiativen wie «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» würden Hans und Marta zwingen, nur noch nach Bio-Standard zu produzieren. Auch wenn die Tendenz zwar steigend ist, konsumieren Herr und Frau Schweizer Bio-Produkte nur im Mass. Laut dem Jahresbericht 2019 von «Bio-Suisse» beträgt der aktuelle Marktanteil von Bio-Lebensmitteln in der Schweiz gerade einmal 10,3 Prozent.

10.3 %

Marktanteil von Bio-Lebensmitteln in der Schweiz

Direktzahlungen fühlen sich an wie Almosen

Ein weiteres Problem stellen gemäss Fredi Wintsch die Direktzahlungen des Bundes an Landwirtschafsbetriebe dar. Der Bereichsleiter für Umwelt der Stadt Bülach kehrte der Landwirtschaft vor viereinhalb Jahren den Rücken, um sich beruflich nochmals neu zu orientieren. Auf seinem Hof betrieb er Milchwirtschaft, Obst- und Ackerbau. Er kritisiert die Direktzahlungen, die er früher selbst erhalten hat. «Man fühlt sich wie ein Almosenempfänger und muss sich ständig dafür rechtfertigen.» Ohne gehe es aber nicht. Trotzdem sei es frustrierend, wenn man mehr Direktzahlungen erhält, als man selbst Ertrag generiert.

«Man fühlt sich wie ein Almosenempfänger und muss sich ständig dafür rechtfertigen.»

Fredi Wintsch, ehemaliger Bauer

20 Milliarden für die Landwirtschaft

Was in der Nachkriegszeit als finanzielle Stütze für Landwirtschaft und Bevölkerung gedacht war, hat sich zu einem komplexen System entwickelt. Während der Bund Kosten von 3.8 Milliarden Franken für die Schweizer Landwirtschaft ausweist, sind es gemäss «Avenir Suisse» gesamthaft rund 20 Milliarden. Dieses Geld würde direkt und indirekt auch in die Taschen der Detailhändler, Verarbeiter und Händler von Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln und landwirtschaftlichen Maschinen fliessen. Zusätzlich treiben diese Zahlungen laut der Denkfabrik «Vision Landwirtschaft» die Bäuer*innen in eine immer stärkere staatliche Abhängigkeit. Ein Blick nach Neuseeland zeigt, dass es auch ohne Subventionen funktionieren kann: Dort strich der Staat in den 80er-Jahren der Landwirtschaft alle Hilfsgelder. Gemäss der Wochenzeitung «Die ZEIT» ging dadurch gerade einmal einer von hundert Bauernhöfen Konkurs. Mit einer Zehn-Punkte-Strategie will «Avenir Suisse» die Ausgaben für die Landwirtschaft auch in der Schweiz senken. Ein grosses Ziel dabei ist, die Landwirtschaft unabhängiger von Staat und Grosshandel zu machen und gleichzeitig einen unternehmerischen Freiraum für die Landwirt*innen zu schaffen. Denn schlussendlich, so «Avenir Suisse», profitieren die wenigsten Bäuer*innen vom aktuellen System.

Die Schweizer Landwirtschaft kostet

3.8 Mrd.

laut Bund, aber

20 Mrd.

laut Avenir Suisse

Bild: Kelly Brand-Skewer

Kapitel III

«Frauen haben es schwer auf dem Hof»

Kapitel III

«Frauen haben es schwer auf dem Hof»

Ein Leben als Landwirt*in bedeutet oftmals praktisch keine Freizeit, wenig Lohn und viel Druck von aussen. Hinzu kommen Probleme, die man im ersten Moment nicht erwartet. Und dass Bäuer*innen anscheinend nicht gerne über ihre Sorgen sprechen, hilft da wenig. Das kann irgendwann alles zu viel werden. Wir haben eine Frau getroffen, die genau dann zuhört und hilft.

Bild: Sina Alpiger

Zur Person

Patrizia Schwegler (33) ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie hat Agrarwissenschaften an der ETH studiert und führt heute zusammen mit ihrem Mann einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb. Die zweifache Mutter unterrichtet ausserdem am landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum LBBZ in Cham und ist Geschäftsführerin des Bäuerlichen Sorgentelefons.

Kapitel iV

Mit Hafermilch
gegen die Tradition

Kapitel iV

Mit Hafermilch
gegen die Tradition

Immer mehr Bauern steigen aus der Tiernutzung aus. Der Trend der Milchersatzprodukte im Detailhandel gibt ihnen Recht. Dass man auch abseits einer klassischen Vorstellung der Landwirtschaft überleben kann, zeigt ein veganer Bauernhof in Bern.

«Wir haben Milch gemacht und wir haben den Kühen die Kälber weggenommen und die Kälber haben geschrien. Es war einfach so.» Urs Marti (36) ist aus der Milchproduktion ausgestiegen. Er hat den Hof im bernischen Kallnach von seinem Vater übernommen und ist heute als veganer Bauer erfolgreich. Mit ihm und seiner Frau Leandra Brusa (30) endete auf dem Hof Hübeli eine jahrzehntelange Ära der Milchproduktion.

«Erst als wir gemerkt haben, dass man auch ganz viel Gutes machen kann auf einem Bauernbetrieb, haben wir uns entschieden, den Hof zu übernehmen.» Es sei aber nicht nur einfach gewesen. Bei einem Veganer komme bei vielen Bauern zuerst eine Abwehrhaltung, sagt Urs. «Du bist für sie wie ein Spiegel. Viele sehen Veganer als ihre Feinde. Dabei wäre das ein riesiger Markt – zum Beispiel mit der Hafermilch.»

Das mit der Hafermilch war Leandras Idee. Direkt neben dem Kuhstall haben die beiden einen kleinen Anbau installiert, wo Leandra die Hafermilch herstellt. Die Haferkörner werden gemahlen und mit Wasser gemischt. Dann wird die Mischung pasteurisiert und gefiltert. Die fertige Hafermilch füllt Leandra in Flaschen ab. Kaufen kann man die Milch zum Beispiel in Bioläden oder auch im eigenen Hofladen.

Urs interessiert sich viel mehr für die Tiere eines Hofes als für die Maschinen. Deshalb war für ihn auch von Anfang an klar, dass er den Hof vegan bewirtschaften wird. Foto: Lia Budowski

Das Geschäft mit dem Milchersatz

Auch die Schweizer Grossverteiler sehen das Potenzial im Milchersatz: Anfangs waren die Produkte noch ein magerer Ersatz für die, die Milch nicht vertragen, jetzt avancieren sie immer mehr zur vollwertigen Alternative für die, die auf Kuhmilch verzichten möchten. Coop hat bereits fünfzig Ersatzprodukte im Sortiment. Die Verkäufe haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht - schon bald wird laut Coop auf jeden zehnten Liter Kuhmilch ein Liter einer Milchalternative kommen. Ein Liter Bio-Milchdrink kostet im Coop ca. 1.65 Fr. pro Liter, ein Liter Bio-Haferdrink ca. 2.95 Fr. pro Liter.

Für Urs und Leandra war klar, dass der Ausstieg aus der Milchproduktion ein Prozess sein muss. Man kann nicht von heute auf morgen aufhören zu melken – sonst sind alle Einnahmen weg. Ausserdem muss die Milchleistung zuerst zurückgehen, denn die Milchkühe geben sehr viel Milch. «2016 haben wir erste Milchkühe nicht mehr besamt. Die Kälber haben wir bei den Kühen gelassen, damit sie trinken.» Milchkühe produzieren aber viel zu viel Milch für ein einziges Kalb, deshalb mussten sie häufig noch ein zweites Kalb dazu nehmen. Am 31. Dezember 2017 hat Urs’ Vater auf dem Hof Hübeli das letzte Mal gemolken.

Fr. 1.65

pro Liter Bio-Milchdrink

Fr. 2.95

pro Liter Bio-Haferdrink

Die Hafermilch ersetzt die Kuhmilch aber nicht als Haupteinnahmequelle. Die Produktion und der Vertrieb sind sehr zeitintensiv und im Moment noch im Aufbau. Das meiste Geld nehmen Urs und Leandra durch die Tierarche ein, also durch Patenschaften, die Privatpersonen für die «pensionierten» Tiere übernehmen. Die ehemaligen Milchkühe bewirtschaften nur noch das Gras und liefern den Dünger. So wollen Urs und Leandra ihnen einen schönen Lebensabend ermöglichen.  

Statt Futtermais für die Tiere wächst auf dem Bio-Hof jetzt Polentamais, von dem etwa eine Tonne verkauft wird. Urs und Leandra leben beide vegan. Auf dem Hof Hübeli Fleisch zu verarbeiten, kam für sie deshalb nicht in Frage, stattdessen wollten sie pflanzliches Eiweiss produzieren. Darum pflanzen sie jetzt Linsen an. «Für ein Kilo Fleisch brauchst du im Schnitt 10 Kilogramm Getreide. Da isst du das Getreide lieber selber», sagt Urs.

«Da isst du das Getreide lieber selber»

Urs Marti

Sarah Heiligtag versucht, die Welt der Landwirtschaft ein bisschen zu verändern – ein Hof nach dem anderen. Foto: Lia Budowski

«Du trinkst kein Bio-Bier!»

Mit einer neuen Generation scheinen auch neue Anforderungen an Nahrungsmittel zu kommen. Als auf dem Hübeli mit Urs die Idee einer veganen und biologischen Landwirtschaft aufkam, gehörte der Hof noch seinem Vater. «Er versteht eigentlich immer noch nicht genau, was wir hier machen. Aber er unterstützt uns.» Die Umstellung auf Bio gab allerdings zu reden im Dorf: «Meinem Vater wurde einmal am Stammtisch in der Beiz gesagt, er trinke imfall kein Bio-Bier.»

Trotz der Sprüche: Im Dorf reden alle noch mit Urs und Leandra. Sarah Heiligtag hingegen kennt andere Geschichten, bei denen die Generationen-Übergabe nicht so sanft verlief. Die 41-jährige berät Bauern und Bäuerinnen beim Ausstieg aus der Tiernutzung. Sie sagt, die soziale Hürde sei die grösste: «Da sind immer wieder enorme Konflikte zu erleben. Ich hatte einen Fall mit einem Bauern, der kurz davor war, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir hatten einen Tag geplant, wo wir alle einladen wollten. Kurz vorher sind die Unstimmigkeiten eskaliert.» Es gebe aber auch das Gegenteil. Fälle, wo die Mutter zu den Kindern sage: «Ich wollte das schon immer so machen. Ihr dürft es jetzt endlich.»

Weg von der Nutztierhaltung

Die Zahl der Bauern und Bäuerinnen, die aus der traditionellen Tiernutzung aussteigen möchten, steigt. Immer mehr kommen zu Sarah Heiligtag, weil sie nicht mehr so weitermachen wollen. Weil sie keine Tiere nutzen oder schlachten möchten wie bisher. Dieser Trend spiegelt sich auch im Agrarbericht 2020 wider: Die Anzahl der Nutztierhaltenden ist in den letzten zwanzig Jahren stark gesunken.

Nutztierhaltung im Vergleich: 2002 und 2019

Grafik: Lia Budowski, Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft

Urs und Leandra beweisen, dass ein alternatives Modell ohne Tiernutzung funktionieren kann. Das habe aber seine Zeit gebraucht: «Bis wir sagen konnten ‹Jetzt läuft’s› dauerte es etwa fünf Jahre.» Zwar nehmen sie nicht so viel ein wie Urs’ Vater mit der Milch, dafür haben sie viel weniger Ausgaben. «Unter dem Strich machen wir mittlerweile sogar den Besseren.»

Kapitel V

Im Kleinen Grosses bewirken

Kapitel V

Im Kleinen Grosses bewirken

Grösser, schneller, speditiver – so das Credo der modernen Landwirtschaft. Nicht aber im bernischen Thörishaus. Dort wird auf dem «Biohof Gumme» das Gegenteil gelebt. Zwei Familien in drei Generationen spannen in Kollaborationen mit verschiedenen Menschen zusammen, welche selber kein Land besitzen. So wächst zum Beispiel in Zusammenarbeit mit einem Berner Winzer ein kleiner Weinberg. Im Kleinen wollen sie so produktiv wie möglich sein, sagt Betriebsleiter Thomas Ramser. Durch dieses Gemeinschaftswerk sind die «Gummen» auf der Spur einer ursprünglichen Form der Landwirtschaft.

Bild: Peter Szabo

Kapitel VI

Stillstand in der
Agrarpolitik


Kapitel VI

Stillstand in der Agrarpolitik

Der Bundesrat wollte ab 2022 die Landwirtschaft neu regeln. Doch die Änderungen sorgen für Unmut: Was einige als die langersehnte Chance gesehen haben, die Schweizer Landwirtschaft einen Schritt voranzutreiben, war anderen ein Dorn im Auge. Nun erteilt auch der Ständerat der Vorlage eine Abfuhr.

Alle vier Jahre passt der Bundesrat die Politik zur Landwirtschaft neu an. 2022 wäre es wieder so weit. Vor zwei Jahren veröffentlichte der Bund die Vernehmlassung zur Agrarpolitik (AP22+). Eines der Ziele ist die Besserstellung der Eheleute, die im Betrieb mithelfen. Beide müssen laut der neuen Bestimmungen mit den üblichen Sozialversicherungen abgesichert sein. 2016 waren laut dem Bundesamt für Landwirtschaft gegenüber 42’400 Männern nämlich gerade einmal 6’000 Frauen bei der AHV angemeldet. Auch soll eine Lehre nicht mehr reichen, um einen Hof zu übernehmen. Angehende Bäuerinnen und Bauern müssen sich zusätzlich in Betriebsführung weiterbilden – nur so können sie Direktzahlungen vom Bund erhalten.

Grundsätzliches Ziel der AP22+ ist, die landwirtschaftliche Produktion umwelt- und tierfreundlicher zu gestalten. Deshalb will der Bund Innovationen fördern. Der Zugang zu Hypotheken für einen Freilaufstall zum Beispiel wird erleichtert.

Ebenfalls legt die AP22+ fest, wie viel Geld für die landwirtschaftlichen Direktzahlungen zur Verfügung steht. Im Zeitraum von 2022 bis 2025 wären das 13.8 Milliarden Franken. Das ist fast gleich viel wie bisher.  

Bauern mit AHV:

42’400

Bäuerinnen mit AHV:

6’000

«Keine brauchbare Basis»

Diejenigen, die von den Neuerungen am meisten betroffen sind, sind damit aber nicht einverstanden. Der Schweizer Bauernverband lehnt die Vorlage klar ab und hat gar eine Rückweisung der AP22+ gefordert. Der Grund: Sie hätte eine Reduktion des Einkommens im landwirtschaftlichen Sektor um 265 Millionen Franken und eine Senkung des Selbstversorgungsgrads zur Folge. Der Verband sieht in der Vorlage «keine brauchbare Basis für eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik».

Auch die unabhängige Denkfabrik «Vision Landwirtschaft» kritisiert die AP 22+. Ihrer Meinung nach kollidiert die Reform mit den definierten Zielen des Landwirtschaftsartikels 104.

Dieser besagt, dass der Bund dafür sorgen soll, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen Beitrag leistet zur Versorgung der Bevölkerung. Weiter soll er mit finanziellen Anreizen Produktionsformen fördern, die besonders umwelt- und tierfreundlich sind. Laut «Vision Landwirtschaft» wird jedoch nur ein kleiner Teil der jährlichen Milliardenbeträge für diese definierten Ziele eingesetzt. Der Rest werde pauschal verteilt. Das treibe die Schweizer Bauernbetriebe in eine staatliche Abhängigkeit und schade auf längere Sicht mehr als es nütze.

«Im Klimabereich ist die Vorlage
noch sehr mager»

Eva Wyss, WWF

Umweltorganisationen jedoch wollen eine Sistierung der AP22+um jeden Preis verhindern. «WWF Schweiz» fürchtet, dass durch die Verzögerung die Umweltprobleme weiter zunehmen und die Biodiversität weiter abnehmen wird. «Die AP22+ ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Natürlich könnte man immer mehr machen: Im Klimabereich zum Beispiel ist die Vorlage noch sehr mager. Aber es ist besser als gar nichts», sagt Eva Wyss vom «WWF». «Ausserdem vertritt der Bauernverband längst nicht alle Landwirtinnen und Landwirte in der Schweiz. Es gibt noch viele andere Produzentenorganisationen, die die neue Agrarpolitik unterstützen.» So ist zum Beispiel auch die Agrarallianz der Meinung, eine Rückweisung verzögere die dringend nötige Weiterentwicklung der Agrarpolitik.

Bundesrat Parmelin ist enttäuscht

Kritik wurde aber auch innerhalb des Bundeshauses geäussert: Die Wirtschaftskommission des Ständerates forderte vom Bundesrat ebenfalls eine Sistierung. Mit einem Postulat verlangte sie vom Bundesrat Nachbesserungen. Auch ihre Begründung lautet, dass die Vorlage der Schweizer Landwirtschaft «keine langfristige Perspektive» biete.

Am 14. Dezember wurde das Postulat im Ständerat debattiert und angenommen. Der Rat will die neue Agrarpolitik erst dann beraten, wenn der Bundesrat die verlangten Nachbesserungen liefert. Zwar hat der Ständerat die finanziellen Mittel für die Landwirtschaft gutgeheissen, die Agrarreform wird dennoch um Jahre verschoben. Wirtschaftsminister Guy Parmelin zeigt sich enttäuscht von der Entscheidung: «Mit der AP22+ wollte man der Schweizer Landwirtschaft eine Perspektive geben und sie in ihrer Pionierrolle in Sachen Nachhaltigkeit unterstützen.» Mit dem Stillstand der Vorlage werde auch der Fortschritt gestoppt.